Tallinn
Tallinn, Sonntag, 25. August 2019
Wir mussten dringend Wasser fassen und Frederick hatte über das Internet herausgefunden, dass ein Wohnmobilstellplatz, gelegen an einer der Hauptstraßen, die in die Stadt hineinführen, auch Versorgung mit Frischwasser anbietet. Also ging’s als erstes zu diesem Stellplatz, der gleichzeitig auch ein Hostel für Rucksacktouristen ist. Es klappte, wir bekamen Frischwasser und netterweise brauchten wir für die 100 Liter Wasser nichts zu bezahlen.
Für die Besichtigung des Zentrums Tallinns hatten wir uns einen nahen Parkplatz ausgesucht, doch einige 100 m vor Erreichen des Platzes war die Straße gesperrt. Kurz entschlossen parkten wir in dieser Straße und waren zu Fuß eine viertel Stunde später schon in der berühmten Altstadt.
Der Besuch Tallinns (bis 1918 unter dem deutschen Namen Reval) am Wochenende, an einem Sonntag! Einen geschäftigeren Tag kann man sich wohl nicht aussuchen … Nicht nur, dass sich allgemein viele Besucher der Stadt durch die kleinen winkligen Gassen schoben, sondern auch (wieder mal) tausende von Passagieren der Kreuzfahrtschiffe und natürlich die Menschen, die nur am Wochenende Zeit haben. Egal, wir stürzten uns ins Getümmel dieser quirligen, skandinavisch anmutenden Metropole (über 430.000 Einwohner) Estlands.
Die Hauptstadt ist der ganze Stolz des Landes, in der Mittelalter sich mit Modernem verbindet. Als größte Stadt Estlands ist sie wirtschaftliches und zugleich auch kulturelles Zentrum. Durch die Lage am Finnischen Meerbusen ist man schnell per Fähre im 80 km nördlich gelegenen Helsinki.
Im Touristenbüro händigte man uns recht lieblos nur den Stadtplan aus und überließ uns dann unserem Schicksal. Wo beginnen, wo alles hoch interessant aussah mit all den mittelalterlichen und schön restaurierten Häusern und jeder Winkel entdeckt werden wollte. Über die Entstehung Tallinns müsst Ihr bitte alle selbst einmal nachlesen, das ist wieder Seiten füllend! Wir waren ja nur ein paar Stunden dort, um einen ersten Eindruck zu bekommen.
An den Ständen des mittelalterlichen Marktes gab es viele schöne Dinge des Kunsthandwerks/an Handarbeiten zu kaufen. Verkäufer/innen und das Personal in Cafés, Bierstuben, Restaurants waren oftmals in alte Kostüme gekleidet und sorgten für noch mehr Atmosphäre. Das Angebot an Strickwaren, Holzschnitzereien, Töpfereien und Souvenirs war erdrückend, doch der Großteil davon war wohl tatsächlich lokal gefertigt und dementsprechend auch von hoher Qualität. Nur mit Mühe gelang es uns, den vielen Verlockungen zu widerstehen und wir konzentrierten uns auf die Stadterkundung.
Als erstes ging’s hinauf (gegen 4 Euro Eintritt pro Person) auf die Reste der alten Stadtmauer in der Unterstadt. Von dort gelangten wir auf den restaurierten Teil des Wehrganges, der über ca. 200 m begangen werden kann. Die Stadtmauer war schnell abgehakt. Sie sah interessanter aus, als sie es letztendlich war und die erhofften Fotos von oben ließen sich nicht realisieren, da der Wehrgang nicht hoch genug war.
Bei unserem weiteren Rundgang hörten wir musikalische Klänge aus Richtung des Rathausmarktes, denen wir dann folgten. Dort, auf einer großen Bühne trat eine estnische Band auf, die sehr ähnliche Musik zu der von der deutschen Band “Santiano” spielte. Es war sehr unterhaltsam und wir hielten uns dort eine Weile auf, um die Musik zu genießen.
Schließlich landeten wir auf dem Domberg und bewunderten dort die orthodoxe St. Nikolai Kathedrale, das Schloss Toompea (heute Regierungssitz) sowie den höchsten erhaltenen Turm der alten Burg Pikk Hermann (13. Jahrhundert). Wie die Esten es geschafft haben, die mittelalterliche Bausubstanz zu erhalten und restaurieren, kommt einem Wunder gleich! Es ist auch viel von dem alten Kopfsteinpflaster erhalten, das verdirbt den Roller- und Radfahrern ein bisschen den Spaß und als Fußgänger ist man daher sicherer unterwegs! Prächtige Gildehäuser auch hier: Sie zeugen vom Wohlstand und der Macht der Kaufleute im Mittelalter. Tallinn teilt sich in Ober- und Unterstadt auf: auf dem Domberg herrschte früher der Bischof, Vertreter des Landesherrn und des Deutschen Ritterordens und der Adel. In der Unterstadt lebte der Großteil der Stadtbevölkerung, Handwerker und Kaufleute. Tallinn war Mitglied der Hanse und auch hier gibt es ein Schwarzhäupterhaus, Versammlungsort der ledigen Kaufleute.
Uns gefiel es überall gut und wir können den Besuch dieser wunderschönen Stadt nur empfehlen. Wir kehrten auf ein kleines Mittagessen in einem italienischen Restaurant ein, spazierten noch ein wenig durch die Gassen. Das Haus “Olde Hansa” fiel uns auf. Alles war im mittelalterlichen Stil gestaltet. Auch Kellner und sonstige Bedienstete liefen in zeitgenössischer Garderobe umher. Alles wirkte sehr authentisch, gar nicht gekünstelt. Allerdings war der Spaß, hier zu essen, nicht ganz billig. Man kann auch auf mittelalterliche Art essen, also ohne Besteck, mit den Händen, Fingerfood also. Brot wird nicht geschnitten, sondern man bricht sich ein Stück vom Laib, wie ganz früher … Da wir bereits gegessen hatten, fiel es uns natürlich leicht, auf das mittelalterliche Mahl zu verzichten.
Kurz darauf kamen wir an einem Café vorbei, dass uns schon von weitem mit seiner Big Band Musik anlockte. Hier warb der “Tallinn Swing Dance Club” offenbar für neue Mitglieder: zu Big Band Swing Musik aus den 1940er und -50er Jahren tanzten einige draußen vor dem Café in den der Zeit entsprechenden Kostümen, hübsch anzusehen und zu hören. Einige richtig gute Tänzer zeigten, was sie drauf hatten. Wir setzten uns eine Weile an einen Tisch, ließen uns ein Eis schmecken und genossen die Vorführung. Es juckte gewaltig in den Beinen. Am liebsten hätten wir mitgemacht. Aber die Tänzer waren einfach zu gut. Wir hätten monatelang üben müssen, um dort einigermaßen mitzuhalten.
Was wir hier in ein paar Zeilen beschreiben, dauerte tatsächlich mehrere Stunden. So langsam mussten wir unseren müden Füßen Tribut zollen und schlichen daher langsam zurück zum Wohnmobil. Es war bereits nach 20 Uhr und daher machten wir uns gleich auf zum Fährhafen Muuga, nur 15 Minuten von unserem Parkplatz entfernt. Am Hafengelände parkten wir neben den vielen großen LKW’s. Die machen leider immer Krach, weil die Fahrer die Kühlaggregate die ganze Nacht laufen lassen müssen … eine angenehme Nachtruhe ist das dann leider nicht. Trostreich allein, dass auch wieder andere Tage kommen. Die Nacht war sowieso kurz, weil um 5.45 Uhr der Wecker klingeln sollte. Auf nach Helsinki mit Tallink.