Derry (Londonderry)
Donnerstag, 5. Juli 2018
Beklemmende Stadtführung
Bis morgens um 9 Uhr durfte man ja kostenlos auf dem Platz am Tourist Office in Donegal parken, danach kostete es 60 Cent pro Stunde (spottbillig), für uns natürlich das Doppelte, weil wir mit unserem langen Gefährt zwei Plätze einnehmen. Wir wollten aber sowieso nach Londonderry (Derry) in Nordirland aufbrechen. Wir hatten Derry an sich gar nicht eingeplant, wurden aber von den Iren überzeugt, die Stadt unbedingt zu besuchen. Im Nachhinein muss man sagen, dass diese Empfehlung goldrichtig war. Wie überall auf unserer gesamt gefahrenen Strecke gab es einige Baustellen, ein gutes Zeichen: es scheint wieder Geld da zu sein, um die Straßen zu verbreitern und zu verbessern (wie bei uns!).
In der Republik Irland weisen die Verkehrsschilder auf “Derry” hin. So nennen die Iren die Stadt. In Nordirland heißt die Stadt “Londonderry”. Wir reisen ohne Grenz-Überquerung (es gibt keine sichtbaren Zeichen der Grenze zwischen Irland und Nordirland) in Nordirland ein, wobei wir – je näher wir Londonderry kommen – auch immer mal Schilder sehen, auf denen das “London” durchgestrichen ist. Die Iren in Nordirland wollen die Herrschaft der Briten nicht. Aber Nordirland gehört nun mal zu Großbritannien. Dies politische Problem ist allgegenwärtig. Dazu mehr später.
Militärische Eingriffe Englands führten 1801 zur Abschaffung des irischen Parlaments und zur Integration in das Vereinigte Königreich (United Kingdom). Das ließen die Iren sich nicht so ohne weiteres gefallen und so ging es mit Kämpfen hin und her und letztendlich gelang es, durch den irischen Unabhängigkeitskrieg 1922 innerhalb der britischen Monarchie eine Domäne zu schaffen, sich seit 1949 Republik Irland nennt. Wer sich etwas tiefer in die spannende irische Geschichte einlesen möchte, sollte das gern einmal tun. Es geht natürlich viel weiter zurück, in die Zeit der Plantations um 1608, als die damaligen Herrscher Englands ihre (protestantische) Bevölkerung dort ansiedelten und die katholischen Iren an den Rand drängten.
Die Landschaft Nordirlands spielte als Location der “Game of Thrones” Filme eine große Rolle (es werden Sightseeing Touren angeboten und die Gegend wird “gut” vermarktet), dabei ist das nur Fiction, und nicht Geschichte …
Frederick folgte der Stellplatz-App in ein ruhiges Wohngebiet in Derry (etwa 85.000 Einwohner, zweitgrößte Stadt Nordirlands). Am Ende der Straße war Platz für zwei Wohnmobile, ein hoher Zaun trennte uns von dem Wanderweg entlang des River Foyle dahinter. Da fühlten wir uns sicher, wir standen allein. Wir konnten hinüber auf die Stadt sehen und waren nicht weit von der Peace Bridge (Friedens-Brücke) entfernt.
Stellplatz Koordinaten: N54.999357, O-7.314399
So waren wir innerhalb von 10 Minuten in der Innenstadt an der Guildhall, dem historischen Rathaus mit seinen kunstvollen Glasfenstern, gegenüber dem Tower-Museum. Die Glasfenster stellen die Geschichte der Stadt von der Gründung bis zu den “Troubles” (den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der Jahre 1967-1973) dar.
Vor dem Tower-Museum stand ein Feuerwehr-Auto, der Zugang war versperrt. Es war irgendwo innen ein Feuer ausgebrochen und deshalb war das Museum für den Rest des Tages geschlossen. Also besichtigten wir die altehrwürdige schöne Guildhall mit dem Uhrenturm, aus dem die Glockenschläge wie im Big Ben, London die Zeit anschlugen. Man konnte sich alle Räume ansehen, ohne Eintrittsgeld zu bezahlen, so auch den modernen Sitzungssaal des Rathauses. Uns gefielen die alten historischen Räumlichkeiten besser.
Um 13 Uhr fanden wir uns zur Derry City Bogside Walking Tour ein, um mehr über den Bloody Sunday (1968) zu erfahren. Unser Guide (Stadtführer) war Paul, der sich bei jedem unserer Gruppe (8 Interessierte: Amerikaner, Neuseeländer, Engländer und wir) mit Handschlag vorstellte. Die politische Situation war damals dramatisch eskaliert und führte über Jahre zu Straßenkämpfen und der Bildung der IRA (terroristische Vereinigung). Oberflächlich besehen, waren es “Protestanten gegen Katholiken”, aber wie mir der Ire im Country Museum in einem Gespräch gesagt hatte, war das nur vorgeschoben. Es ging um Macht. Auch hier führt es zu weit, alles, was wir gehört, gesehen und gelernt haben, niederzuschreiben. Wer sich interessiert, möge es bitte selbst einmal nachlesen und dann schauen, “auf welche Seite” er sich schlägt … die irische oder englische.
Paul führte uns in die Gegend, in der er aufgewachsen ist und von wo aus die Kämpfe ihren Lauf nahmen. Sein Vater war im Alter von 31 eines der unschuldigen Opfer am “Bloody Sunday” (das englische Militär wurde eingesetzt, um die Proteste und Märsche niederzuschlagen). Nach 1 1/2 Stunden höchst interessantem (natürlich einseitigem) Geschichtsunterricht fühlten wir uns doch einigermaßen deprimiert. Die Tour hatte zu den Murals, den großflächigen Wandbildern an den Häusern, die an die Bürgerrechtsbewegung und die “Troubles” erinnern geführt und endete am “Bloody Sunday Memorial”, dem Gedenkstein an die Opfer. Der Name von Pauls Vater führte die Liste an, und man merkte es ihm sichtlich an, dass es eine sehr emotionale Reise in die Vergangenheit war. Erst nach 30 Jahren, in 1998 kam es zum “Good Friday Agreement”, dem Friedensvertrag. Wir bezahlten pro Person 6 £ plus ein Trinkgeld, denn hier werden wir ja nichts mit unseren Euros, deshalb hatten wir rechtzeitig einige englische ££ bei der Bank geholt.
Die blutigen Ereignisse wollten wir danach genau so schnell abschütteln wie offenbar alle aus der Gruppe. Es wurden keine Fragen gestellt. Was soll man auch als Außenstehender dazu fragen und sagen.
Wir wanderten dann zur historischen Stadtmauer, auf der man die Altstadt umrunden kann. Und von dort aus sahen wir dann Wohnviertel, in denen die Bewohner ihre deutliche Präferenz (Irisch/Englisch) zeigten: Zahlreiche englische (Union Jack) und nordirische Flaggen wehten von den Gebäuden und wir begriffen, dass es noch nicht vorbei ist. Man hat wirklich das Gefühl, dass es unter der Oberfläche auf beiden Seiten noch brodelt.
Der Weg auf der alten Stadtmauer ist trotzdem schön, ebenso wie die Altstadt selbst. Von oben sahen wir auf einen Frisörladen, Sweeney Todd, ein Barber Shop (also auch Rasuren für den Herrn). Frederick wollte aber lieber nicht dorthin. Wer die Geschichte um Sweeney Todd kennt und vielleicht auch das Musical mit Johnny Depp, weiß, warum. Vielleicht auch mal nachlesen ….
Wir kehrten auf einen Kaffee bei der Guildhall ein und gingen danach über die toll gestaltete Peace Bridge (eingeweiht am 25.6.2011, Unterstützung durch die EU) zurück zum Stellplatz. Uns reichte das Gehörte und Gesehene für diesen Tag und wir erholten uns in unserem kleinen mobilen Heim.
Freitag, 6. Juli 2018
Problem mit dem Schloss der Aufbautür und Besuch des Tower Museums
Wir hatten nun noch den Besuch des Tower-Museums auf unserer Liste und wollten nach dem Frühstück gegen 10 Uhr gleich los. Alles bereit zum Abmarsch, spielte unsere Aufbautür plötzlich verrückt und ließ sich nicht schließen. Der Riegel war in der geschlossenen Position und ließ sich nicht öffnen. Dadurch konnten wir die Tür nicht in Schloss schlagen. Oh weh, big problem, – na, hoffentlich nicht!
Frederick versuchte dies und das, ohne Erfolg. Ich war sofort sauer, weil ich unsere nächste Stadterkundung in Gefahr und stattdessen uns schon auf irgendeinen Schrauber warten sah, stundenlang. Just in dem Moment drehte der Fahrer eines anderen Wohnmobils in die Straße ein, parkte aber an der falschen Stelle (im Wendehammer der Straße). Ich also hin. Zum Glück sprachen die Franzosen englisch. Ich erklärte ihnen, dass es nur noch den Platz neben uns gäbe und wir uns bei den Bewohnern der Straße lieber nicht unbeliebt machen sollten, indem man auf dem Wendehammer parkt, es gibt ja schon genug Wohnmobil-Hasser, die sich schon über deren Anblick aufregen. Und – übrigens, ob der Mann (er hieß Frederic) nicht vielleicht mal gucken könnte, wir hätten ein Problem mit unserer Tür. Er stellte sein Wohnmobil neben unserem ab und die Familie mit den zwei netten Söhnen stellte sich vor. Sie wollte nur eine kurze Stadtbesichtigung machen und danach das Fußballspiel Frankreich: Uruguay gucken (2:0 für Frankreich später das Ergebnis!).
Frederic schaute sich also das Problem an und löste es in Sekundenschnelle, indem er den Hebel auf der Innenseite bewegte. Dadurch ließ sich der Riegel wieder in die Ursprungsposition bewegen. Puh, danke, – welch ein Segen! So ist es, dass man sich unterwegs gern mit Rat und Tat hilft, wenn man selbst zu dämlich ist. Wir waren auf jeden Fall überglücklich.
Bei bestem Wetter ging es dann noch mal los in die Stadt. Das Tower-Museum nahm keine Eintrittsgebühren, da nicht alle Bereiche zu besichtigen waren (wegen des Brandes am Vortag, entstanden durch einen Fehler in der Elektrik). So konzentrierten wir uns auf die Geschichte der spanischen Armada Flotte in 1588, das ist schon interessant genug. Auch damals ging es schon um die Vernetzung und Stärkung der katholischen (Spanien, Irland, Frankreich) Länder gegen die Protestanten (England). Wir erinnern uns, dass die spanische Armada ja auch in Cornwall gelandet war (Mousehole!).
Taucher hatten in den 70er Jahren das vor beinahe 400 Jahren gesunkene Schiff La Trinidad Valencera entdeckt und in der Ausstellung konnten wir restaurierte Kanonen und vieles andere bewundern. Die Geschichte der Soldaten und Seeleute wurde erzählt, sehr interessant!
Anschließend machten wir noch einmal einen Bummel durch die Altstadt und entdeckten das sehr hübsche Craft-Village, in einem kleinen und gemütlichen Innenhof gelegen (Café, Gallerien, Bücherladen, Kunst und Keramik). Und zurück ging es – ein zweites Mal über das Tourist Office, das ein wenig außerhalb liegt (aber noch zu Fuß zu erreichen ist). Hier gab es nette Irland-T-Shirts und wir kauften zwei.
Um für die Weiterfahrt gestärkt zu sein, gönnten wir uns noch einmal Kaffee und Kuchen im Café der Guildhall. Dann ging`s zurück zum Wohnmobil und flugs auf zu neuen Ufern. Wir hatten die etwa eine Fahrstunde entfernte Stadt Portrush an der Nordküste ins Visier genommen.